Kritik an der Evolutionstheorie – ein Argumentum ad Ignorantem?

Ohne auf die Theorie und ihre Hauptsätze einzugehen, ist Evolution ein leerer Begriff. Beschäftigt man sich intensiv mit dieser Theorie, wird einem bewusst was sie erklären kann, und was nicht. Wissenschaftler, die kritik an diesen Defiziten äußern und bei ihren Erklärungen nicht in den Grenzen der Üblichen naturalistischen Deutungsmuster bleiben, sind immer wieder starken Angriffen aus dem Lager der Naturalisten ausgesetzt. So auch der Paläontologe Dr. Günter Bechly.

„[..]Dann hätte ich da zwei Fragen, die zusammengehören:
1. Was ist ein Argumentum ad ignorantem? Ich gehe davon aus, dass du das weißt aber möglicherweise manchmal vergisst. 2. Du sprichst im Video von Argumenten für intelligent Design.

Ich gehe nach Frage 1 davon aus, dass du verstehst, dass ein Argument gegen die Evolutionstheorie kein Argument für Intelligent Design ist. Kannst du bitte ein solches Argument für Intelligent Design nennen?

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Ich möchte im Folgenden diesen Vorwurf analysieren und zeigen das er selbst auf einem ähnlichen Fehlschluss beruht.
Um diesem Argument zu begegnen, muss man, denke ich zwei Dinge klären. 1. Beruht das Eintreten für das Designargument wirklich nur auf der Ablehnung der Evolutionstheorie (ET)? 2. Handelt es sich hier um eine falsche Dichotomie?

Zu 1) Beim Argumentum ad Ignorantiam wird meist übersehen, das es in beide Richtungen vorliegen kann. Eine These wird entweder für falsch erklärt, allein weil sie bisher nicht bewiesen werden konnte, oder umgekehrt, eine These wird für richtig erklärt, allein weil sie bisher nicht widerlegt werden konnte (oder weil eine Mehrheit der These zustimmt). Der Fehlschluss wird ohne Sachargumente gezogen. Unter Berücksichtigung dieser Definition könnte man notorische „Evolution ist Fakt!“-Rufe auch als Argumentum ad Ignorantiam werten, wenn diese ohne Sachargumente vorgebracht werden. Die Argumentation mit der Akzeptanz durch eine Mehrheit wäre allerdings auch kein Sachargument, denn Mehrheiten sind kein ausschlaggebender Faktor für wissenschaftliche Evidenz. Im betreffenden Fall beruht die Entscheidung nicht lediglich auf den Defiziten der ET, sondern auf besseren Erklärungen durch Design und Zweckmäßigkeit aufgrund einer intelligenten Urheberschaft. Das dieses Argument hier überhaupt vermutet wird, impliziert schon die recht überhebliche Vorstellung, Kritik an darwinistischen Erklärungsmustern könne gar nicht wissenschaftlich motiviert sein. Dabei bietet die ID Theorie durchaus gut begründete Erklärungen zum Ursprung der Molekulargenetischen und Biochemischen Mechanismen in lebenden Organismen und zu der zentralen Frage der Evolution, wie die großen Transformationen im Tierreich zustande gekommen sind.

Zu 2.) Wenn eine Theorie in wesentlichen Punkten Mängel aufweist, ist es legitim, nicht nur auf diese Mängel hinzuweisen, sondern auch eine alternative Theorie zu formulieren. Welche Alternativen gäbe es denn zur ET? Um diese Frage zu beantworten, muss man sich mit dem Kernpostulat der Evolutionstheorie seit Darwin auseinandersetzen. Ohne auf die konkreten Mechanismen einzugehen, lässt sich das, was die ET erklären will, im folgenden Satz zusammenfassen: „Descent with modification“, oder überspitzt ausgedrückt: „Wie wird aus einer Mikrobe ein Mikrobiologe?“. Welche alternativen Erklärungen könnte es geben? Die ET will das Leben ausschließlich aufgrund blinder, nichtintensionaler, also ateleologischer Prozesse erklären. Damit folgt sie dem methodologischen Naturalismus, der Grundannahme der modernen Wissenschaften. Andererseits enthält sie aber dadurch eine metaphysische Behauptung, was ihr, wie allen Ontologien, eine Sonderstellung innerhalb der Naturwissenschaften verleiht. (Mittlerweile soll Evolution eine komplette Ontologie vom Urknall bis zum Menschen liefern und ist nicht mehr nur auf die Biosphäre beschränkt.) Was aber wenn diese Forschungsmethodik bei der Beantwortung der Ursprungsfragen an ihre Grenzen stößt? ( Siehe Popper, 19741) . Könnte man akzeptieren, dass es jenseits der Einschränkung „Etsi deus non daretur“ wissenschaftlich brauchbare Erklärungen gibt, oder immunisiert man die Wissenschaft philosophisch derart, dass man alles blockiert was irgendwie einen göttlichen Fuß in der Schöpfung implizieren könnte? (Siehe Feyerabend „Anything Goes“) Wenn eine Methodologie als dogmatische Einschränkung gilt, muss man fragen, ob sie nicht längst zur Ideologie geworden ist. Die ET steht in Konkurrenz zu allen Theorien und Weltbildern, die eine intelligente und intentionale Entität als Urheber des Universums und des Lebens postulieren.
Hier ergibt sich tatsächlich eine echte Dichotomie, die allerdings eher philosophischer Natur ist. Denn zwischen ateleologisch-naturalistischen und teleologisch-idealistischen Erklärungen wird von den Vertretern des philosophischen Naturalismus keine 3. Variante zugelassen. Das erzeugt die eigentliche Dichotomie. Aus rein wissenschaftlicher Sicht gäbe es allerdings überhaupt kein Problem die Natur als Mischung aus zielgerichteten, zweckorientierten und zufallsgesteuerten Prozessen zu verstehen. Man kann jederzeit an der naturalistischen Methodologie festhalten.
Wenn jedoch die Befunde auf eine andere Realität verweisen, darf man diese nicht aus ideologischen Gründen einfach für abwegig halten, nur um ein naturalistisches Weltbild zu immunisieren.

„Das beste Argument für Kreationismus sind die Probleme der Evolutionstheorie. (Kent Hovind) Dieses Argumentum ad Ignorantiam ist DAS Zentrale Problem für Kreationismus jeder Art. Aber du kannst mir KEIN Argument für Kreationismus nennen, das keinen offenkundigen Fehler enthält wie eben ein Argumentum ad ignorantiam.“

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Diese Argumentation tappt in die selbe Falle, weil sie darauf insistiert, dass Kritik an den Defiziten der ET kein Argument für ID ist, aber gleichzeitig fordert, dass alle Argumente für Kreationismus frei von „offenkundigen“ Fehlern sein müssen, andernfalls wäre implizit die ET bestätigt.

1.) Zitat von Karl Popper zu den Grenzen der Wissenschaft.

Was den Ursprung des Lebens und des genetischen Codes zu einem beunruhigenden Rätsel macht, ist Folgendes: Der genetische Code hat keine biologische Funktion, es sei denn, er wird übersetzt; das heißt, es sei denn, es führt zur Synthese der Proteine, deren Struktur durch den Code festgelegt ist. Aber, wie Monod betont, besteht die Maschinerie, mit der die Zelle (zumindest die nicht-primitive Zelle, die die einzige ist, die wir kennen) den Code übersetzt „aus mindestens fünfzig makromolekularen Komponenten, die selbst in der DNA codiert sind“. (Monod, 1970; 1971)
Daher kann der Code nur unter Verwendung bestimmter Produkte seiner Übersetzung übersetzt werden. Dies bildet einen wirklich verwirrenden Zirkel; Es scheint ein Teufelskreis für jeden Versuch zu sein, ein Modell oder eine Theorie der Entstehung des genetischen Codes zu bilden.

So könnten wir mit der Möglichkeit konfrontiert sein, dass der Ursprung des Lebens (wie der Ursprung des Universums) eine undurchdringliche Barriere für die Wissenschaft und ein Rückstand auf alle Versuche wird, die Biologie auf Chemie und Physik zu reduzieren. [3]

Ayala, Francisco; Ayala, Francisco José; Ayala, Francisco Jose; Dobzhansky, Theodosius (1974). Studies in the Philosophy of Biology: Reduction and Related Problems. ISBN 9780520026490. Retrieved 18 October 2015.

Beschreibung zum Video:

  • Dr. Günter Bechly ist Paläontologe und hat in Tübingen über die Stammesgeschichte der Libellen promoviert. Seit 1999 war er Kurator für Bernstein und Insekten am Naturkundemuseum Stuttgart, acht fossile Insektenarten sind nach ihm benannt.
  • Im Darwin-Jahr 2009 war er Projektleiter für die Sonderausstellung »Evolution – Der Fluss des Lebens«. Die Lehre Darwins wiegt schwerer als sämtliche Kritik von Kreationisten und Intelligent-Design-Anhängern: So lautete die Botschaft einer Waage in dieser Ausstellung – auf der einen Seite Darwins »Über die Entstehung der Arten«, auf der anderen Seite Bücher von Kritikern mit ihren vermeintlich dünnen Argumenten. Bechly selbst hatte diese Idee, er bestellte die Bücher für die Umsetzung. Und schaute aus Neugier hinein. Er wunderte sich: Keine hanebüchenen, religiös verbrämten und pseudowissenschaftlichen Argumente, sondern berechtigte Anfragen und hohe fachliche Qualität. Nicht fundamentalistische Eiferer wetterten da gegen eine feindliche Theorie, sondern kundige Wissenschaftler führten gewichtige Belege gegen eine natürliche Entstehung des Lebens und seiner Baupläne ins Feld. Günter Bechly kam ins Fragen, machte sich auf die Suche nach Pro und Kontra. Wurde konfrontiert mit der Voreingenommenheit auf der eigenen Seite, auf der Seite der als objektiv geltenden Wissenschaft.
  • Schließlich fand er für sich das, was er am wenigsten wollte, was er zuvor verachtete: den christlichen Glauben. Er ging mit seinen Zweifeln an die Öffentlichkeit, wurde zum Störfaktor und musste seinen Job aufgeben. Seine Geschichte beweist: Forschung kann zu Gott führen, sozusagen zu einer intellektuellen Bekehrung. Glaube und Wissenschaft sind kein Widerspruch. Und: der Wissenschaftsbetrieb ist nicht neutral und objektiv, sondern weltanschaulich unumstößlich festgelegt. Wer die rein materielle Weltsicht in Frage stellt und sogar Gott als Schöpfer des Lebens ins Spiel bringt, der hat in der akademischen Welt keinen Platz mehr.
  • Inhalt: 0:27 Weltanschaulicher Hintergrund und Tätigkeit am Naturkundemuseum 2:55 Die Darwin-Ausstellung im Jahr 2009 6:32 Ein Umdenken bahnt sich an 15:30 Begegnungen mit Wissenschaftlern der Intelligent-Design-Bewegung 17:54 Es beginnt »eine Art Doppelleben« 19:38 Auf der Suche nach einem stimmigen Weltbild 26:00 Reaktionen und Konsequenzen für das Berufsleben.