Meine Motivation zu diesem Artikel ist nicht aus dem Vorhaben geboren lediglich ein wenig Wissensvermittlung zu betreiben. Vielmehr ist der Grund ein wenig ernsterer Natur. Der morgentliche Gang zum Briefkasten hielt hier eine Überraschung bereit – das Pamphlet einer Gruppe mit dem Namen „Bund gegen Anpassung“(BgA). Auf dem Briefkopf prangen Hammer und Sichel, ein Symbol welches mir von der Fahne der Sowjetunion noch gut vertraut ist. Die Überschrift fordert: „Rettet Bürger, nicht Banken“. Offensichtlich suggeriert man hier eine linke Weltanschauung, doch Hammer und Sichel sind dann noch mit folgenden Slogans garniert: „Gleichheit Welweit; Arbeitszeitverkürzung, Geburtenkontrolle“. Während die ersten beiden Forderungen durchaus marxistisch klingen, macht mich „Geburtenkontrolle“ stutzig.
Malthusianismus, bevölkerungstheoretische Denkweise, die auf den Überlegungen von Malthus beruht und Armut in einer Gesellschaft auf das zu hohe natürliche Bevölkerungswachstum im Vergleich zur Verbesserung der Lebensgrundlagen zurückführt. Damit stehen Anhänger von Malthus im Gegensatz zu Marx, der Armut als Folge sozialer Ungerechtigkeiten im Kapitalismus interpretiert. Um die Bevölkerungszunahme zu begrenzen, fordern Malthusianer, präventive Maßnahmen wie die Erhöhung des Heiratsalters, Heiratsbeschränkungen oder sexuelle Enthaltsamkeit durchzusetzen. Der Neomalthusianismus setzt dagegen auf Familienplanung und auf die Einführung von Methoden der Geburtenkontrolle.
Spektrum/Malthusianismus
Im Text geht es dann sofort mit den vertrauten Argumenten der derzeitigen Kritiker und Gegner staatlicher Einschränkungen während der Corona-Pandemie zur Sache. Die Krankheit sei nicht schlimmer als eine Grippe, staatliche Einschränkungen medizinisch unsinnig, und das Ganze ein ausgemachter Staatsstreich. Auf den folgenden Seiten wird noch ein Vergleich mit dem Reichstagsbrand und dem Ermächtigungsgesetz von 1933 gezogen. Das alles fügt man dann zu einem Narrativ zusammen, welches behauptet die Bundesrepublik habe, ähnlich wie 1933 die Nationalsozialisten, alle Grundrechte beseitigt und wer Kritik übt müsse Prügel fürchten.
Ich wundere mich, da doch keine Partei verboten wurde, keine politischen Gegner in provisorischen Lagern interniert wurden. Im Gegenteil, überall finden Demonstrationen statt. Natürlich unter Beachtung der Infektionsschutzauflagen. Irgendwie passt sich das alles in aktuelle Phänomene von Bewegungen ein, die den Regierenden alle möglichen schlechten Beweggründe für die gegenwärtigen Maßnahmen unterstellen. Gar ein internationales Komplott wird proklamiert.
Natürlich ist Kritik in einer Demokratie jederzeit legitim, und das Recht diese zu äußern geschützt. Nur kommt es darauf an die Verhältnismäßigkeit zu wahren und sich nicht auf ein völlig kontrafaktisches Niveau zu begeben. Vor allem wenn begonnen wird Birnen mit Autos zu vergleichen, und krude Folgerungen mit agressiver Polemik verbunden werden.
Man braucht sich dann nicht zu wundern, wenn sich solche Agressionen
zu gegebener Zeit auch in aller Öffentlickeit austoben.
Bis hierher währe eigentlich alles gesagt, doch eins hat mich dann doch herausgefordert. Die Autoren erklären die Einhaltung der Infektionsschutzbestimmungen bei der Mehrheit der Bevölkerung mit kognitiver Dissonanzreduktion (KDR). Die KDR wird hier ausschließlich als Prozess im Denken unmündiger Bürger dargestellt, als Illusion und in der Konsequenz Herrschaftswissen. Zeit für eine Recherche.
Was hat es nun mit der Kognitiven Dissonanzreduktion auf sich?
Nun, kognitive Dissonanz ist der Zustand wenn in unseren Gedanken, widersprüchliche Informationen miteinander konkurieren. Das erzeugt einen Zustand der Spannung, den man natürlich überwinden möchte. Diese Bestrebung nennt die Psychologie
kognitive Dissonanzreduktion (KDR). Die Theorie geht auf den US-Amerikanische Sozialpsychologen Leon Festinger zurück. Das ist kein Geheimwissen sondern schon lange wissenschaftlicher Standard.
Kognitive Dissonanz bezeichnet in der Sozialpsychologie einen als unangenehm empfundenen Gefühlszustand. Er entsteht dadurch, dass ein Mensch unvereinbare Kognitionen hat (Wahrnehmungen, Gedanken, Meinungen, Einstellungen, Wünsche oder Absichten). Kognitionen sind mentale Ereignisse, die mit einer Bewertung verbunden sind. Zwischen diesen Kognitionen können Konflikte („Dissonanzen“) entstehen.
Quelle Wikipedia
Um kognitive Dissonanzen zu überwinden gibt es ganz unterschiedliche Methoden und Strategien – direkte und indirekte. Dabei ist man bestrebt zu konsonanten Kognitionen zu gelangen, also eine Übereinstimmung zu erreichen. Kognitive Dissonanzen können durch Widersprüche zwischen Anspruch und Wirklichkeit des eigenen Handelns oder Informationen, die das eigene Weltbild, persönliche Überzeugungen, Wünsche und Ziele in Frage ziehen entstehen. Darum spielt dieses Thema nicht nur bei banalen Alltagsthemen eine Rolle, sondern auch bei weltanschaulichen, gesellschaftlichen oder politischen Themen.
Ich möchte zum hier relevanten Thema nur auf zwei grundlegende Strategien zur Dissonanzreduktion eingehen.
Die Beste und redlichste Strategie ist die folgende:
„Das zugrundeliegende Problem wird gelöst. Häufig ist es dabei notwendig, den Blickwinkel zu ändern, um neue Lösungswege zu erkennen. Mit der Lösung verschwindet auch die Dissonanz.“
Anm.: Das ist ehrer anstrengend und unbequem. Letztlich könnte es dazu führen, das man Irrtümer eingestehen oder sicher geglaubtes revidieren muss. Deshalb meiden viele diesen Weg.
Quelle Wikipedia
Der Zweite grundlegende Weg währe eine Scheinlösung, die eng mit einer weiteren kognitiven Falle verbunden ist, dem Selbstbestätigungsfehler (Confirmation Bias).
Nichtwahrnehmen, Leugnen oder Abwerten von Informationen Selektive Beschaffung und Interpretation von dissonanzreduzierenden Informationen
Quelle Wikipedia
Wir neigen leider dazu Informationen die unser Selbst – und Weltbild bestätigen weniger kritisch zu prüfen, als Informationen die selbiges in Frage ziehen. Daher wird oft die widersprüchliche Information diskreditiert, ignoriert oder durch bestätigende (konsonante) Informationen kompensiert. Je stärker die Dissonanz, desto stärker der Druck. Informationen ohne Konsequenzen für das eigene Handeln, oder Weltbild, erzeugen keine Dissonanz und werden daher meist akzeptiert.
Wenn beispielsweise Raucher mit Informationen über die schlimmen Folgen ihres Zigarettenkonsums konfrontiert werden, können sie Dissonanz vermeiden, indem sie diesen Informationen deutlich weniger Aufmerksamkeit schenken als Nichtraucher. Eine andere Strategie zur Dissonanzreduktion ist die Herbeiziehung weiterer Kognitionen, zum Beispiel der Verweis auf Raucher, die alt geworden sind.
Quelle Wikipedia
Wo ist das Problem?
Die Theorie besagt, das bei der Dissonanzreduktion immer der schwächere Teil der Kognition aufgegeben wird. Und hier setzt das Narrativ des BgA an. Es setzt vorraus, dass das stärkere Element immer die offiziell vorherrschende Deutung ist, doch dem ist nicht so. In diesem Fall sollen es Regierung und so genannte Staatsmedien sein. Unterfüttert wird die These noch mit dem Hinweis auf Strafen, die bei Nichteinhaltung der Vorgaben drohen. Doch Sanktionen führen höchstens zu Widerwillen, aber nicht zu einer Meinungsänderung – Siehe Verkehrsverstöße – weshalb die Argumentation auch in diesem Punkt nicht schlüssig ist. Bei Verkehrsverstößen sucht man eher nach einer Entlastung im Sinne von – die brauchten nur wieder Geld – statt das eigene Fahrverhalten zu hinterfragen.
Vergleichbar ist das durchaus mit manchen Reaktionen während der Covid19 Pandemie. Da neigt ein Teil, geschätzte 20% der Leute, viel eher dazu einfache und entlastende Antworten zu übernehmen, wie etwa – „es gibt keinen gefährlichen Virus“ – „Es geht um eine Enteignung des Mittelstands“ – „Bill Gates will die Weltherrschaft“ u.s.w., als die komplexen und unfertigen Antworten der Wissenschaft, nebst widersprüchlicher Expertenmeinungen, zu durchdenken. Das kann auch gerade dann verfangen, wenn man eine sehr unsichere Situation durchlebt und sich fragt, ob die getroffenen Maßnahmen gerechtfertigt sind. Dann kann die Auflösung der kognitiven Dissonanz gerade in Richtung alternativer Erklärungen laufen, die landläufig unter dem Label „Verschwörungsmythos*“ zusammengefasst werden.
Ist ein bestimmter Standpunkt gebildet, geht es vor allem darum nach Informationen zu suchen die diesen bedienen. (selective Perception, Confirmation Bias). Fast unerreichbar werden Menschen dann, wenn eine bestimmte Sicht auf der emotionalen Ebene verstärkt wird. Da kommt man mit rationalen Argumenten nur noch schwer durch. Und nein, aus dem Postulat eines Verschwörungsmythos folgt nicht automatisch, dass es auch eine Verschwörungspraxis gibt.
80% der Leute machen immer alles mit (Harald Welzer). Das hat zunächst nichts mit kognitiver Dissonanz und deren Auflösung zu tun. Gesellschaftliche Konventionen und Ansichten werden primär als Normalität empfunden. Erst die Konfrontation mit Gegenentwürfen führt zu kognitiver Dissonanz. Zustimmung folgt auch nicht immer nur aus rein pragmatischem Opportunismus. Menschen können durchaus auch aus Überzeugung vorherrschenden Paradigmen zustimmen. Andererseits können auch abweichende Positionen konsonante Kognitionen darstellen, da sie das Gefühl der Überlegenheit bzw Progressivität transportieren.
Was also die jeweilige konsonante Kognition ist, in welcher Richtung und mit welchen Strategien die KDR verläuft, ist keineswegs eindimensional, sondern sehr vielfältig.
Menschen empfinden nicht automatisch auf politisch oder wissenschaftlicher Ebene etablierte Positionen als die stärkere Kognition. Durchaus einflussreich sind auch vorgefasste Meinungen und der Meinungsdruck des engeren Umfeldes. Menschen die eine ausgeprägte und über Generationen tradierte fremdenfeindliche Haltung entwickelt haben, werden sich nur schwer durch wissenschaftliche oder soziologische Gegenargumente überzeugen lassen, selbst wenn diese der Mehrheitsmeinung entsprechen. Es besteht eher die Neigung sich mit Menschen zu umgeben, die die selbe Weltsicht teilen. Eine Neigung, die in Internetforen und Sozialen Medien eine entsprechende Eigendynamik entwickelt hat. Solch informelle Gruppen waren früher eher auf Stammtische oder Vereine begrenzt. Durch digitale Medien bilden Menschen heute wesentlich größere informelle Gruppen.
Wer kritisch denkt, hinterfragt auch die eigene Position kritisch und neigt nicht lediglich dazu diese zu bedienen. Dabei ist es hilfreich, auch Informationen kritisch zu prüfen, die den eigenen Standpunkt stützen.
Fazit
- Leon Festigers Theorie der kognitiven Dissonanz ist mit nichten geheimes Herrschaftswissen. Diese Theorie beschreibt völlig normale mentale Strategien menschlicher Denkprozesse. Das wir überhaupt kognitive Dissonanzen wahrnehmen treibt uns an, Dinge zu hinterfragen, zu forschen, zwischen wahr und unwahr, richtig oder falsch zu unterscheiden.
- Strategien zur Dissonanzauflösung oder Dissonanzreduktion sind, wie bereits dargelegt keine negativ definierten Prozesse. Es gibt sowohl Strategien, die zu sinnvollen Lösungen von Widersprüchen führen. Andererseits aber auch Strategien die nur Scheinlösungen bieten, manchmal harmlos sind,aber eben auch in fragwürdigen Selbst – und Weltbildern münden.
- Mit dem Frame “ medizinisch unsinnig, Sterblichkeit einer normalen Grippe, Staatsstreich“, setzen die Autoren selbst eine einfache Antwort zur KDR ein. Sie folgt dem Modus „Einfache Antwort gegen komplexe Informationen“.
Offensichtlich betreibt BgA selbst kognitive Dissonanzauflösung auf die eher unredliche Art. In üblich populistischer Manier geriert man sich als die unabhängigen Denker, die alles durchschaut haben. Doch mit rationaler Analyse hat das Papier herzlich wenig zu tun. Pseudolinke Kapitalismus-kritik, die eher an die Argumentationslinien der Nationalsozialisten erinnert. Der an die Scholle gebunde Arbeiter wird gegen eine Klasse von (im NS Jargon Jüdischen Weltbürgern ohne nationale Wurzeln), hier jedoch zukünftigen modernen Großgrundbesitzern instrumentalisiert.
Desweiteren geht es gegen die üblichen Verdächtigen. Bill Gates, Georg Soros, Greta** und das US dominierte Megakapital. Die Spitze aber ist, dass die postulierte weltweite Abschaffung der Grundrechte auch eine Verhinderung der Wiederwahl von Donald Trump zum Ziel habe. Mir ist bisher noch kein Linker aufgefallen, der sich als Anwalt von Donald Trump positioniert hätte. Wenn man das zusammenrechnet erscheint ein deckungsgleiches Argumentationsmuster, wie man es etwa von Pegida und anderen Autoritären Nationalisten gewohnt ist, incl. xenophober Auslassungen über pauschal unechte Flüchtlinge.
Quellen:
Der mit BgA assoziierte Ahriman Verlag wirbt mit der Zeile:
Unser Programm ist die Wiederkehr des Verdrängten.
Es gibt eine Menge kleinerer und größerer Gruppen auf dem Psycho- und Gesinnungsmarkt in Deutschland, bei denen es sich lohnt, das Verhältnis von Anspruch und Realität zu untersuchen. Genau so scheint es sich beim „Bund gegen Anpassung“ zu lohnen, die Natur des Verdrängten zu prüfen, das da wiederkehren soll. (Marcus Hammerschmitt)
Rechte und autoritäre Tendenzen der Gruppe sind seit den 1980er Jahren bekannt. So forderte die Gruppe damals die Zwangs-Tätowierung von HIV-Infizierten. Ein Vorschlag der damals im faschistischen Magazin „Nation Europa“ begrüßt wurde.
Bis heute vertritt die Gruppe die Forderung nach einer radikalen Bevölkerungsreduktion. Immer wieder warb sie in Anzeigen mit der Botschaft: „Fünf Milliarden sind vier Milliarden zuviel – Bevölkerungsreduktion ist der beste Umweltschutz. Gilt auch für Europa!“.
* Verschwörungsmythos soll hier nicht als pejoratives Label gebraucht werden. Es sollte lediglich betont werden, daß aus einer behaupteten Verschwörung noch keine reale Verschwörung wird.
** Gerade die Art und Weise wie Greta Thunberg mit ätzenden Komentaren bedacht wurde, stellt eine besondere Form der KDR dar.
KD = Kognitive Dissonanz
KDR = Kognitive Dissonanzreduktion