Wissenschaft und Weltanschauung

Wir leben, so stellen wir fest, in einer befremdlichen Welt. Wir möchten verstehen, was wir um uns her wahrnehmen und fragen: Wie ist das Universum beschaffen? Welchen Platz nehmen wir in ihm ein, woher kommt es, und woher kommen wir? Warum ist es so und nicht anders?         Stephen J Hawking (1988/2011,P213)

Obwohl sich die moderne wissenschaftliche Methodik nicht mit weltanschaulichen Deutungen befasst, hat doch die Motivation zur Forschung überhaupt, durchaus weltanschaulische Intentionen. Das mag keine Rolle spielen bei der Frage: Wie baue ich einen guten Computer, ein tolles Auto etc. Sehr wohl aber bei solchen Fragen wie in dem Eingangs zitierten Hawking Zitat. Ohne Zweifel treffen sich in der Person des Wissenschaftlers Methodik und Weltanschauung. Wissenschaft wird von Menschen gemacht und wird dem entsprechend auch weltanschaulich reflektiert. Das mag vor allem auf den Wissenschaftler als Privatperson zutreffen. Aber nicht nur. Besonders in populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen gibt es oft Grenzüberschreitungen in Form von weltanschaulichen Konklusionen. Wissenschaft und Weltanschauung sind also nicht völlig voneinander zu trennen. Die Schnittmengen sind hier vor allem, wie Eingangs gezeigt die Fragen: Wie hat alles angefangen? Woher kommt das Leben? Was ist der Mensch? – und ähnliche. Traditionell sind diese Fragen die Domäne, nicht nur der Wissenschaft, sondern auch der Philosophie und der Religion. Heute hat sich allerdings der landläufige Eindruck etabliert, die Deutungshoheit für solche Fragestellungen liege allein bei der Wissenschaft. Ist die Naturwissenschaft aber tatsächlich in der Lage alle Fragen zu beantworten?

Aus wissenschaftlichen Theorien folgt technisch verwertbares, aber kein normatives, kein handlungsorientierendes Wissen.

(Quelle: Habermas: Erkenntnis und Interesse.)

„Es bleiben ja genügend Themen, über die die Naturwissenschaft nichts zu sagen hat und – so wie ich das sehe – auch nie etwas zu sagen haben wird. Ich verstehe auch gar nicht, warum man sich bemühen soll, die Existenz Gottes zu beweisen oder sie logisch herzuleiten. Gott darf nicht beweisbar sein. Wenn wir mit Sicherheit wüssten, dass es einen Gott gibt, dann gäbe es in der Folge das Gute nicht mehr: Dann bleibt doch nur noch ein rein opportunistisches Verhalten übrig!“ Anton Zeilinger, Quantenphysiker

Zeilinger/Gott darf nicht beweisbar sein

Doch auch mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen gibt es immer wieder neue Fragen. Man hat das Gefühl, nicht nur unser Wissen nimmt zu, sondern auch unser Unwissen. Zum Jahreswechsel 2009 gab es in der Tageszeitung „Die Zeit“ eine Themenreihe zu 12 offenen Fragen der Wissenschaft. Das waren Fragen wie:

  • Warum sind wir nicht unsterblich?

  • Was war vor dem Urknall?

  • Wie entstand das Leben?

  • Wird die Wissenschaft eines Tages alle Fragen beantworten?

  • Woraus besteht das Universum?

  • Gibt es die Weltformel?

  • Was ist Realität?

Eine kleine Auswahl an Fragestellungen, und es wird klar: Fragen der Wissenschaft berühren unser Weltbild. Damit verbunden ist letztlich auch die Frage, ob die wissenschaftliche Methodik uns die ganze Wahrheit mitteilen kann oder ob nicht vielmehr auch die Wissenschaft ihre Grenzen hat.

https://www.zeit.de/serie/fragen-der-wissenschaft

Die Methodik der Naturwissenschaften

Ob ausserhalb des eigenen Ich eine objektive Welt existiert (Descartes) war lange Zeit eine Frage, die von Philosophen diskutiert wurde, gleichzeitig waren abendländische Wissenschaftler wie Newton, Galileo oder Pascale davon überzeugt, dass Gott eine objektiv existente naturgesetzliche Welt erschaffen habe, die dem menschlichen Intellekt zugänglich sei und in welcher reproduzierbare Erkenntnisse über jene Gesetzmäßigkeiten zugänglich sind. Diese Überzeugung selbst ist jedoch empirisch nicht beweisbar. Nach Karl Popper ist sie eine methaphysische Hypothese, die für die Naturwissenschaften unverzichtbar ist.
Auf Grundlage dieser Hypothese arbeiten Wissenschaftler noch heute jedoch erweitert um eine Methodik die Popper ‚Kritischer Realismus‘ nannte. Jede Theorie muss demnach schon die Kriterien für ihre Prüfung an der Realität mitliefern. Was jedoch bei den vormodernen Forschern schon Konsens war, ist eben die Überzeugung, dass Naturwissenschaft intersubjektiv einsichtige Erkenntnisse über die Naturgegenstände liefert.

Spätestens seit Galileis Fallexperimenten stellt das Experiment den Standard wissenschaftlicher Forschung dar. Mit der Reproduzierbarkeit der Resultate von Versuchsanordnungen konnte man den Naturgesetzen, welche als Kontinuitäten aufgefasst werden, auf die Spur kommen. Dabei geht man von der Annahme aus, dass diese Gesetzmäßigkeiten seit Beginn des Universums, in der Zukunft und im ganzen Universum gleichermaßen gelten. Besonders bei anwendungsbezogener Wissenschaft und deren technischer Umsetzung zeigt sich, dass diese Herangehensweise sehr Erfolgreich war.

Man kann zuverlässige Fahrzeuge und Computer bauen und Satelliten in Umlaufbahnen schießen.

Man erhält intersubjektiv nachprüfbare Ergebnisse. Sinnfragen wie sie von der Antike bis in die frühe Neuzeit noch von der Wissenschaft eingeschlossen wurden, kommen in dieser Methodik nicht mehr vor. Sie können nicht als prüfbare Kontinuitäten erfasst werden. Überhaupt ist es kaum möglich singuläre Ereignisse methodisch zu erforschen. Es sei denn man empfängt „Signale aus der Vergangenheit“. Das mag Licht sein, welches uns von den entferntesten Galaxien erreicht. Mikrowellen-Hintergrundstrahlung als Echo des Urknalls, gemäß der Voraussage des Standardmodells der Kosmologie. Geologische Schichten geben Auskunft über die Erdgeschichte. Anhand von Fossilien versucht man die Geschichte des Lebens zu rekonstruieren. Retrospektive Forschung ist jedoch weit mehr interpretierbar als experimentelle Wissenschaft.

Seit dem 17 Jhdt kam es zum Aufstieg der modernen Wissenschaften. Doch Wissenschaft ist wohl so alt wie die menschliche Zivilisation.

Die Geschichte der Forschung begann zunächst mit sehr praktischen Innovationen. Die Beobachtung der Himmelskörper mit ihren Zyklen, der Ablauf der Jahreszeiten und die Erstellung der ersten Kalender, ermöglichten eine immer effektivere Landwirtschaft, stabilere gesellschaftliche Strukturen mit zeitlicher Einteilung der Aktivitäten administrativer und kultischer Art.

Ein berühmtes Zeugnis früher astronomischer Beobachtungen sind die Venus-Tafeln des Ammi-saduqa.
„Bei den aus der Bibliothek Assurbanipals stammenden Keilschrifttafeln handelt es sich um Abschriften früherer Texte, die von den Originalen aus der Regierungszeit Ammi-saduqas (1646 bis 1626 v. Chr. nach der mittleren Chronologie), dem vorletzten König der ersten altbabylonischen Dynastie, immer wieder kopiert und weitergegeben wurden. Die Entstehungszeit der letzten Kopien wird auf etwa 800 v. Chr. angesetzt.“ (Wiki)
Bei der Datierung von Ereignissen des Altertums wird u.a. auch auf diese Tafeln zurückgegriffen.
Weitere Innovationen des Altertums sind Metallurgie, Metallverarbeitung, Schiffbau, Architektur, Arithmetik und Geometrie bei den Griechen u.v.m.

Während die Wissenschaft vom Altertum, über die mittelalterliche Scholastik, bis in die frühe Neuzeit von einer Verbindung mit Religion und Philosophie gekennzeichnet war, kam es spätestens seit dem 19. Jhdt zu einer Emanzipation. Diese war nicht nur von einer methodischen und systematischen Erforschung der Naturphänomene gekennzeichnet, sondern auch von einer, dem Zeitgeist entsprechenden methodologischen Beschränkung.

etsi deus non daretur (Hugo Grotius, 1583 – 1645)

„Die These von der weltlichen Nichtnotwendigkeit Gottes kann als Ausdruck einer Grundeinstellung der Neuzeit verstanden werden. Als Laplace sein Planetensystem Napoleon erklärte und dieser fragte, wo denn Gott in diesem System seinen Platz habe, antwortete dieser: Sir, diese Hypothese habe ich nicht nötig. Weltliches ohne Rekurs auf Gott zu verstehen, das berühmte etsi deus non daretur, ist allerdings keineswegs zwingend atheistisch. Als Hugo Grotius vom Naturrecht behauptete, es würde auch dann gelten, wenn man annähme – was freilich ohne die größte Sünde nicht angenommen werden darf -, dass es keinen Gott gäbe oder dass er sich um die weltlichen Belange nicht kümmere, hat er selbst diese Sünde keineswegs begehen, sondern die Gabe des Rechts und seine friedensstiftende Kraft preisen wollen.“  Die Zeit/Wie Gott zur Welt gekommen ist

„Als der Bürger Laplace dem General Bonaparte die erste Ausgabe seiner Exposition du Système du monde zeigte, sagte der General zu ihm: ‚Newton sprach in seinem Buch von Gott. Ich habe das Ihrige schon durchgesehen und dabei diesen Begriff kein einziges Mal gefunden.‘ Woraufhin Laplace erwidert hatte: ‚Bürger und Erster Konsul, ich habe dieser Hypothese nicht bedurft.‘“

– Hervé Faye: Sur l’origine du monde, théories cosmogoniques des anciens et des modernes (1884)

Diese Anekdote ist seit dem oft als Ausdruck eines radikalen Atheismus gewertet worden. Tatsächlich war es aber nicht so gemeint. Denn Laplace hatte offensichtlich eine Erklärung für einige Diskontinuitäten gefunden, für die bei Newton noch Gott ins kosmische Geschehen hätte eingreifen müssen. Seither hat sich die Rede vom Lückenbüßer-Gott fest im Vokabular atheistischer Denker etabliert. So bald man auf die Grenzen der Wissenschaft verweist, wird mit dem Lückenbüßer-Argument gekontert. Dabei gibt es allerdings keine logische Grundlage dafür anzunehmen, dass Gott mit der erforschbaren Welt nichts zu tun hat, weil wir Naturphänomene rational beschreiben können. Die einzige Hypothese, die dem zugrunde liegt, ist die Annahme, dass Gottesglaube das Ergebnis der Unwissenheit früherer Generationen sei. Der Nachweis mag bei so manchem Mythos des Altertums gelingen. Aber nur wenn man zeigen kann, dass tatsächlich natürliche Phänomene dem unmittelbaren Einwirken Gottes zugeschrieben werden. Im Gegensatz zu vielen alten Mythologien wird man ein solches Gottesverständnis in der Bibel nicht finden.

Weil sich Wissenschaftler in der Vergangenheit den Konflikten mit kirchlichen Dogmatikern ausgesetzt sahen, ist es heute für die Wissenschaften selbstverpflichtend einen solchen Einfluss auszuschließen. Unbewusst ist dadurch allerdings der Eindruck erzeugt worden, Religion müsse sich schädlich auf die Forschung auswirken.

Die Grenzen der Wissenschaft

Man muss sich darüber klar sein, dass die (methodisch sinnvolle) Reduktion und Einengung des Begriffs der „naturwissenschaftlichen Wirklichkeit“ nicht mit dem Begriff der „Wirklichkeit“ identisch ist. (Grundlagen und Grenzen der Physik, Edwin Gräupl)

 

„Atheismus ist eine legitime Überzeugung, wissenschaftlich begründen lässt sie sich nicht. Gott mithilfe der Wissenschaft zu widerlegen, scheint mir genauso unsinnig wie der Versuch, Gott mithilfe der Wissenschaft zu beweisen. Nicht nur Schwarze Löcher zeigen uns, dass Grenzen Teil unserer Welt sind. Wer es wagt, über die Grenzen der Physik hinaus zu fragen, kommt an Gott nicht vorbei… Ich denke, eine gänzlich gottlose Physik ist nicht möglich, wenn man wirklich bis an die Grenze menschlichen Erkennens fragt… Gott ist heute nötiger denn je.“ Heino Falcke, Radioastronom

https://www.fr.de/kultur/literatur/heino-falcke-licht-buch-literatur-astro-im-dunkeln-das-schwarze-loch-und-dahinter-gott-90083503.html


Die Naturwissenschaft sitzt auf „Inseln des Wissens und hat nur ein eingeschränktes Bild vom Kosmos. Nach den Messungen der Weltraumsonde WMAP steht fest: Wir kennen nur 4 Prozent des Weltalls; nur so viel nämlich besteht aus gewöhnlicher, sichtbarer Materie, also aus Sternen, Planeten, Monden! Und der unbekannte Rest? Der besteht aus 23 Prozent Dunkler Materie und 73 Prozent Dunkler Energie“. Das heißt: Das Universum ist für uns Menschen immer noch ein großes Rätsel. 1)

Was war vor dem Urknall?
„Wissenschaftliche Methoden können auch mit ständig zunehmender Reichweite und Raffinesse nicht in Erfahrung bringen, was vor diesem Zeitpunkt war“. Und genau da setzt das religiöse Denken ein, die Frage nach einem Anfang von Allem [außer Gott, Anm. nicht im Original.] und einem metaphysischen Urgrund alles Wirklichen. 2)

Wann kommt Religion ins Spiel?
„Warum gibt es überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts? Dies ist nach dem großen Mathematiker und Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz die Grundfrage der Philosophie, ja, dies ist die Ur-Frage des Menschen, die der Naturwissenschaftler nicht beantworten kann. Hier geht es nicht um einen Lückenbüßer-Gott , um „God of the Gaps“. 3)

1,2,3 Religion und der Urknall, Hans Küng SWR Aula

Anm.: Ist Gott als Schöpfer für bestimmte Teilbereiche der Wirklichkeit nicht mehr verantwortlich, weil wir diese erklären können?
Gott ist sicher keine Arbeitshypopthese zur Welterklärung und die Erklärbarkeit der Welt ist kein Argument gegen Gott.
Das wäre es erst, wenn eine Theory of Everything quasi die Existenz und den Ursprung der Welt komplett auf intensionslose und ateleologische Prozesse zurückführen könnte. Doch davon ist die Wissenschaft ausserordentlich weit entfernt. Vermutlich sind genau dort auch die Grenzen der Wissenschaft zu verorten.

In 1974, regarding #DNA and the #OriginOfLife Karl Popper said:
What makes the origin of life and of the genetic code a disturbing riddle is this: the genetic code is without any biological function unless it is translated; that is, unless it leads to the synthesis of the proteins whose structure is laid down by the code. But, as Monod points out, the machinery by which the cell (at least the non-primitive cell, which is the only one we know) translates the code „consists of at least fifty macromolecular components which are themselves coded in the DNA“. (Monod, 1970;[64] 1971, 143[65]) Thus the code can not be translated except by using certain products of its translation. This constitutes a really baffling circle; a vicious circle, it seems, for any attempt to form a model, or theory, of the genesis of the genetic code.

Thus we may be faced with the possibility that the origin of life (like the origin of the universe) becomes an impenetrable barrier to science, and a residue to all attempts to reduce biology to chemistry and physics.

Ayala, Francisco; Ayala, Francisco José; Ayala, Francisco Jose; Dobzhansky, Theodosius (1974). Studies in the Philosophy of Biology: Reduction and Related Problems. ISBN 9780520026490.

@fenyescillag 2020